Pfarrwitwenhaus Radegast (Elbe)

 
 

335 Jahre Hausgeschichte

Nach einem alten Lüneburger Kirchengesetz waren die Kirchengemeinden verpflichtet, für ihre Pfarrwitwen eine kostengünstige Unterkunft zur Verfügung zu stellen. So entstanden in vielen Kirchengemeinden die sogenannten Pfarrwitwenhäuser, die oftmals bis heute noch erhalten geblieben sind. 

Ein bekanntes Pfarrwitwenhaus steht z.B. auf der Insel Rügen in Groß Zicker.



Im Jahre 1672 beschloss der Kirchenvorstand der Kirchengemeinde Radegast unter dem

Pastor Henricus Hüll, diesem Gesetz Folge zu leisten und ebenfalls ein Pfarrwitwenhaus zu bauen.

Nachdem der Amtmann mit 12 Fischen „bestochen“ wurde, kam die Baugenehmigung auch recht zügig und der Kirchenvorstand konnte zusammen mit den Zimmerleuten im nahegelegenen „Bleckeder Holze“  das Bauholz aussuchen. Es muss regnerisch und Hochwasser gewesen sein, denn die Kirchenvorsteher mussten teilweise barfuß durch den Sumpf  in den Wald laufen.

Der Pastor hatte abends so viel Mitleid, dass er jedem von ihnen einen Taler gab.



Im Jahre 1674 richtete man das Haus auf und deckte das Dach. Danach war die Gemeindekasse offensichtlich so leer, dass man froh über der die gute Gesundheit des Pastors war, denn ohne Pastorenwitwe brauchte das Haus nicht bezugsfertig zu sein.

 

Als der Pastor 25 Jahre später starb, wurden aus Boizenburg Steine für die Fertigstellung geliefert.

Im Haus gab es 2 Kammern, eine gute Stube und die Diele mit einer offenen, aber übermauerten Herdstelle, dem sogenannten Schwibbogen. Ausserdem wurde der Ziehbrunnen gebaut.

Wenig später wurden in der Diele 2 Kammern abgetrennt, die immer für 4 Jahre an Handwerker oder Tagelöhner verpachtet wurden. Der Pastor gab dann am Sonntag nach dem Gottesdienst den Termin bekannt, an welchem sich die „Pachtlustigen“ im Pfarrwitwenhaus einfinden konnten.

Der Meistbietende bekam dann den Zuschlag.

Im Aufruf zur Pacht wurde mit dem großen Obstbaumgarten, dem geräumigen Haus und der großen Herdstelle geworben, an der „zwei Familien bequem ihre Speisen bereiten können“. Ausserdem konnte das Backhaus auf dem Pfarrhof zu bestimmten Zeiten genutzt werden. Als Einkaufsmöglichkeit wurde Boizenburg angegeben, denn der Weg nach Bleckede „war beschwerlich zu gehen“. Da die Strasse nach Bleckede erst Anfang der 1960 er Jahre gebaut wurde, musste man auf dem Deich nach Bleckede laufen.

Im Jahre 1804 bekam das Haus – aufgrund einer neuen Brandschutzverordnung - einen Schornstein und einen ausgedienten Ofen aus dem Pfarrhaus für die Stube. Die Trennwand zwischen der Küche und dem Stall wurde erst 1930 eingebaut. Seitdem ist das Haus unverändert.

Im Jahre 1884 gab es am Haus einen hohen Reparaturstau und der Kirchenvorstand wollte das Haus möglichst schnell verkaufen. Allerdings hatte man die Rechnung ohne die Obrigkeit gemacht: „Es gibt ein Lüneburger Kirchengesetz, wonach die Kirchengemeinden den Pastorenwitwen eine kostengünstige Unterkunft zur Verfügung zu stellen haben, und das gilt auch für Radegast“. Allerdings hat sich die Obrigkeit wohl aufgrund der absolut leeren Gemeindekasse erweichen lassen, und so wurde das Haus 1885 verkauft. Der Käufer reparierte das Haus und baute den Schweinestall an der Grenze zum Pfarrhaus.

 

Der Schweinestall im Jahre 1999













Der Schweinestall im Jahre 2009


















Im Jahre 1915 hatte die Kirchengemeinde Not, einen neuen Küster zu finden. Es gab ein Angebot aus Boizenburg, aber unter der Bedingung, dass dem neuen Küster ein entsprechendes Haus zur Verfügung gestellt würde. Wie sich jetzt herausgestellt hat, hatte der Gute ohnehin die Absicht, seine zukünftige Frau in Radegast zu heiraten…

1915 kaufte die Kirchengemeinde das Haus zurück. Die Argumentation gegenüber der Obrigkeit war einfach :  man brauchte dringend einen neuen Küster und der Kaufpreis war nicht viel höher als der Verkaufspreis, es hieß : „ das Haus ist in einem sehr guten Zustand und ausserdem wurde ein Schweinestall gebaut…“



Seit dieser Zeit haben 3 Generationen Küster in diesem Haus gelebt, alle miteinander verwandt.

Im Jahre 1999 gab es wieder einen Reparaturstau und es hätte die Gemeindekasse gesprengt, das Haus komplett zu sanieren und weiterhin zu unterhalten, zumal der letzte Küster mit einem Pferd, einer Kuh, 10 Katzen und allerlei (unterirdischem) Kleingetier unter einem Dach lebte und es mit der Hauspflege auch nicht so genau nahm…

Das Haus wurde verkauft.

Im Jahre 2005 ist das Dach neu eingedeckt worden und das Haus erhielt seinen ersten Heizkörper.

Näheres zu den Sanierungsarbeiten:

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Als der letzte Radegaster Küster im April 2007 starb, wurde das Haus komplett entkernt und saniert. 

Seit Oktober 2009 wird das Pfarrwitwenhaus von unserem Ingenieurbüro genutzt.

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